In einem etwas anderen Rhythmus quer über die Alb

Fünf Tage Distanzritt „Schwäbische Alb – Weites Land“ – Herausforderung für Ross und Reiter  

„Lasst mich nur in meinem Sattel gelten!

Bleibt in Euren Hütten, Euren Zelten.

Und ich reite froh in alle Ferne

über meiner Mütze nur die Sterne.“ (J.W.Goethe)

Endlose Stoppelfelder erstrecken sich bis an den Horizont. In lang gezogenen Wiesentälern hängt noch der Tau. Sonnendurchflutete Wälder ziehen vorbei. Kleine Ortschaften sind erfüllt von flottem Hufgeklapper. Hier ist vor einer Kirche ein „Boxenstopp“ - durstig saufen die Pferde das angebotene Wasser – dort wartet ein begleitender Fotograf an einer besonders malerischen Ecke auf die Reiter.

„Schwäbische Alb - Weites Land“ - das heißt fünf Tage Auszeit vom Alltag oder rund 350 Kilometer im Sattel. Das ist Distanzreiten in seiner Reinform: Hier geht um die Kilometer, hier ist der Weg das Ziel, die Geschwindigkeit sekundär. Während die Zeilen von Johann Wolfgang von Goethe aus dem West-Östlichen Divan unablässig im Kopf herumspuken, nehmen die Pferde flott Kilometer um Kilometer unter die Hufe. Im Rhythmus des Trabes schweift der Blick über munter gespitzte Pferdeohren auf die atemberaubende Landschaft der Schwäbischen Alb. Nachts fällt der Blick aus dem „Hotel Hänger“ auf einen klaren, tiefschwarzen Nachthimmel, an dem sich Abermillionen von Sternen tummeln. Der Wettergott hat in diesem verregneten Sommer offenbar ein Einsehen gehabt.

Doch bevor 43 Starter, zwei Tierärzte, und zahlreiche Helfer und Trossfahrer an fünf sonnendurchfluteten Tagen Ende August/Anfang September die Schwäbische Alb erobern können, sind Monate der Vorbereitung und Organisation ins Land gegangen. Im Herbst 2004 wird die Idee eines Rittes, der die legendären Mehrtagesritte der 90er Jahre wie etwa den langen Trabweg von Süddeutschland bis an die Nordsee und zugleich die schönen Distanzritte auf der Schwäbischen Alb aufgreift, von den langjährigen Distanzreitern und –Veranstaltern Jutta und Hans Freudigmann aus Reutlingen und Ina Baader aus Dossenheim bei Heidelberg geboren. In den folgenden Monaten werden Karten gewälzt, erklimmt Ina Baaders in der Szene als „Maleika-Mobil“ bekannter VW-Bus unzählige Male den Alb-Anstieg, testen befreundete Reiter – auch bei Eis und Schnee - immer wieder Teilstücke der Strecke, optimieren und legen gegebenenfalls um, laufen die Telefone zwischen der Veranstalterin und den Forstämtern, Gemeinden und Privatwaldbesitzern heiß. Die Schirmherrschaft übernimmt keine Geringere als Her Highness Sheikha Lulua Al Sabah aus Ägypten.

Die Reiter fiebern schon lange der Ausschreibung entgegen. Die Nennungslisten sind lange vor dem Startschuss voll, so mancher hat seinen Jahresurlaub dafür eingeplant. Ende August ist es dann soweit: Aus ganz Deutschland, Belgien und der Schweiz tummeln sich  die Distanzreiter am Startort in Rammingen/Lindenau in der Nähe von Ulm – über den Paddockzaun machen Pferde und Reiter neue Bekanntschaften. Schon am ersten Tag ergeben sich – oft ganz bunt gemischte - „Reitgemeinschaften“: Da ist etwa der tunesische Vollblutaraber-Rapphengst Sadrazam, der unter Daniela Krack aus Neidlingen teilweise Heimvorteil genießt, perfekt im Team mit dem kräftigen Haflinger Leone unterwegs, der wiederum sein Herz an die belgische Partbred-Araberstute Ogine verloren hat, die ihrerseits hervorragend neben dem Oldenburger Warmblut Alfredo aus Viernheim läuft, der – eigentlich im Besitz der Mannheimerin Christine Gaa – ausnahmsweise mit Silke Hüneke aus Hoyerhagen einmal „norddeutsch“ beritten ist...

So zusammengewürfelt wie Reiter und Pferde sind auch die Helfer, von denen es sich viele nicht haben nehmen lassen, eine Woche Urlaub einzureichen, um ein paar Tage lang in aller Herrgottsfrühe aus den Federn zu kriechen, im noch dunklen, taufeuchten kühlen Morgen unter den unterschiedlichsten Bedingungen Kaffee zu kochen und ein Frühstück für die Reiter zu zaubern, sich in einer langen Karawane von Trossfahrzeugen mit und ohne Hänger auf den Weg über Landstraßen zu machen, Stopps aufzubauen, unermüdlich Puls zu messen und die Moral von Reitern und Pferden aufzubauen, bis gegen Abend endlich auch das letzte Team im jeweiligen Tagesziel eingetrudelt ist. So mancher Distanzler ist ohne eigene Trossfahrer angereist und hat schnell hilfreiche Geister gefunden, die nicht nur das Gespann nachziehen, sondern sich sogar so sehr mit „ihrem“ Reiter und Pferd identifizieren, dass man denken könnte, sie wären schon seit eh und je ein Team. 

 

Der erste Morgen führt durch die lang gezogenen Wiesentäler des Lonetals bis auf die Weiler Höhe bei Hohenstadt. Die „Grastäler Passage“ lässt grüßen - Wiesenwege und Stoppelfelder laden immer wieder zu Galopps ein, die Pferde sind noch frisch – doch immer wieder bremst der Gedanke: „Wir haben noch viele Tage und mehrere hundert Kilometer vor uns.“ Fast 350 Kilometer an fünf aufeinander folgenden Tagen sind ein Test auf Herz und Nieren, und die zahlreichen Möglichkeiten bereits ab dem ersten Stopp in der Wertung aufzuhören, auch mal eine Etappe oder gar einen ganzen Ritttag ausfallen zu lassen und später wieder frisch ins Geschehen einzusteigen, werden gerne angenommen. Bereits an diesem Tag kristallisiert sich eine klare Führung heraus: Bei der allabendlich von den Veranstaltern und dem ohne Zweifel komödiantisch herausragenden Tierarzt Georg „Schorsch“ Sauer aus dem Hunsrück zelebrierten Siegerehrung werden gleich fünf Reiter – Karoline Kronenberg, Andreas Häfele, Dirk Frenzel, Stefan Zöller und Jürgen „Paul“ Lehnhardt - mit dem grünen Trikot für den Tagessieg und zugleich dem gelben Trikot für die Gesamtführung ausgezeichnet.

Der zweite Tag führt in einem weiten Bogen über rund 70 Kilometer – zum Teil auf Strecken der Rulaman-Spur – zum Haupt- und Landgestüt Marbach. Für viele ein Wiedersehen nach nur vier Wochen, denn Ende Juli hatte Ina Baader an gleicher Stelle den „Asil Cup 2005“ veranstaltet. Doch dort muss man erst einmal hinkommen, denn das „Weite Land“ ist als Kartenritt ausgeschrieben, die eingezeichnete Strecke also – abgesehen von festgelegten Abschnitten wie in Privatwäldern - ein zur Interpretation offener Vorschlag. Da kann es dann passieren, dass sich ein Grüppchen auf eine vermeintlich bessere Strecke durchs Bärental einlässt – nur um plötzlich vor unbezwingbaren, reich bemoosten Treppenfluchten inmitten von Felsen zu stehen. Ein unvergessliches Erlebnis, das man des Abends in fröhlicher Runde mit einem leichten Schaudern Revue passieren lässt – nur um festzustellen, dass sich die Spitzengruppe Stunden zuvor an gleicher Stelle in der Sackgasse wieder gefunden hat.

Am Morgen des dritten Tages geht es von Gomadingen aus ins Lautertal hinunter. Immer entlang an dieser malerischen, von Felswänden eingerahmten Lauter führt die Strecke und spätestens am Mittagsstopp, der jeden Tag eine Stunde Auszeit für Ross und Reiter verheißt, ist aus der Truppe ein einzige große Familie geworden, die am Abend in Ingerkingen nicht nur (herz-)erfrische Duscherlebnisse im Sportlerheim erlebt, sondern im gastfreundlichen Landgasthof Stegenstüble auch bis in die frühen Morgenstunden über die bisher bestandenen Abenteuer plaudert – nur um Punkt fünf Uhr morgens unsanft von einem heftigen Unwetter geweckt zu werden. Naturgewalten brausen über Hänger, Autos und die eingedeckten Pferde in ihren Paddocks hinweg – und machen rechtzeitig zum Satteln und Starten wieder der Sonne Platz. Einer unbarmherzigen Sonne, die an diesem Tag, an dem die Strecke einen Abstecher von der Alb in die Donauebene macht, besonders den etwas kräftiger gebauten Vierbeinern auf der Strecke zu schaffen macht. Dennoch halten die beiden Norweger, von Achim Gruber und Annette Lippona immer sinnvoll im Rahmen ihrer Möglichkeiten geritten, die beiden Haflinger Luck und Leone und der kräftige Welsh D Bandit durch. Haflinger Leone hat es am Ende dieses harten heißen Tages bei der Siegerehrung in Inzighofen-Pault sogar auf Rang neun geschafft – und kann diese Platzierung unter den Top-Ten mit einer Gesamtkilometerleistung von 314 Kilometern in fünf Tagen auch in der Endwertung halten.

Dabei hat es der letzte Tag noch einmal so richtig in sich: Bereits eine Stunde früher, um sieben Uhr, machen sich die Reiter auf den Weg durchs nebelverhangene Donautal, um an diesem Samstag auf der malerischen Strecke von Gutenstein in Richtung Beuron nicht potentiellen Spaziergängern ins Gehege zu kommen. Immer wieder fällt der Blick von Holzbrücken aus in die stillen Wasser der Donau. Felswände ragen steil zu beiden Seiten des Flusses auf, ein Schwan gleitet majestätisch durch den Dunst. Nach 20 flotten Kilometern in der Ebene kommen die Stunden der Wahrheit: Nun geht es steil hoch auf die Alb, bis in Stetten am Kalten Markt die lange Mittagspause Erholung für Pferd und Reiter verheißt.

Anschließend nähert man sich der Hochebene, auf der immer im Mai die „Hohenzollern-Distanz“ lockt. Das Arabergestüt Letsch putscht die Laune beim dritten Tagesstopp mit Sekt und Brezeln noch einmal auf und dann wird die letzte, stetig ansteigende Wegstrecke bis hoch auf den Raichberg in Angriff genommen. Die letzten Kraftreserven der Langstreckenpferde werden für den Galopp ins Ziel mobilisiert, und mit ein bisschen Wehmut, aber auch dem guten Gefühl, etwas vollbracht zu haben, klingen im Nägelehaus hoch über dem Hohenzollernschloss fünf Tage jenseits des Alltags aus. 

Die Tierärzte Georg Sauer und Beate Scharfenberg bescheinigen den Pferden insgesamt wesentlich weniger Probleme als bei Eintages-Ritten – jeder Reiter hatte sich den Anforderungen dieser langen Prüfung richtig gestellt. Das Motto „Angekommen ist gewonnen“ trifft hier genau den Punkt. Doch auch hier gibt es natürlich Sieger: Sieben von 43 Startern bewältigen die gesamte Strecke von 348 Kilometern: Der mehrfache Deutsche Meister Stefan Zöller aus Erlenbach auf Al Shahjahr und der auch international erfolgreiche Dirk Frenzel aus Bückeberg auf dem Vollblutaraber Kelim sind gemeinsam in einem Durchschnittstempo von 13,05 Stundenkilometern am schnellsten unterwegs. Der Konditionspreis geht zudem an Stefan Zöllers  Vollblutaraberfuchs Al Shahjahr. Dahinter reihen sich Jürgen Lehnhardt aus Kalbach auf dem AV-Wallach Al Sentenza, Mieke Schmidt aus Ammerbuch bei Tübingen auf der Vollblutaraberstute Wahosidna aus der Zucht von Ulrike Weckenmann, Caroline Luley aus Grävenwiesbach auf dem Reitpony Ajax, Stefan Bader aus dem norddeutschen Todendorf auf dem deutschen Reitpony Ronja und Claudia Köhler aus Lütjensee ebenfalls aus dem hohen Norden auf dem DRP Jonny ein. Mit 319 Kilometern kommt Silke Muyschel auf der AV-Stute Fassetta auf Platz acht vor Katja Nicklaus aus Schriesheim auf dem Haflinger Leone, der 314 Kilometer unter die Hufe genommen hat und sich damit Platz neun sichert. Unter Sonia Buluschek aus dem bayerischen Weßling auch noch in die Top Ten trabt mit 309 Kilometern der Welsh D Bandit – mit einem Stockmaß von 1,39 gemeinsam mit Norwegerstute Emma der kleinste vierbeinige Teilnehmer.                                    

Katja Nicklaus

 

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